Der ungebetene Gast

 

Kaum sitze ich an diesem warmen Herbsttag auf der Terrasse meiner Nachbarin, läutet mein Handy. Während ich den ersten Schluck vom wohlverdienten Kaffee trinke, wische ich auf meinem Display nach rechts. "Mama! Du musst schnell nachhause kommen!"

 

Die Panik in der Stimme meines Sohnes ist nicht zu überhören. "Die WC-Spülung ging los! Von ganz alleine!" Ja klar, denk ich, einerseits. Andererseits lässt mich dieser ängstliche Ton doch nicht kalt - im Gegenteil. Ein gruseliger Schauer durchströmt meinen Körper. Mit einem Achselzucken verlasse ich den Garten meiner Freundin und laufe in meine gegenüberliegende Wohnung. Das nette Plauscherl muss kurz warten.

 

Schon beim Öffnen der Haustür höre ich, wie mein Sohn mit unserem Kater spricht. "Mama kommt eh gleich." Er kauert auf dem Wohnzimmerboden, unseren Kuschelfreund in den Armen und blickt mich mit verstörten Augen an. "Du musst mir glauben, Mama!" Etwas unwohl ist mir schon dabei. Ich gehe den Gang entlang und öffne die Tür zur Toilette.

 

Niemand da - was hatte ich auch erwartet? Ich drücke die Spülung. Funktioniert. Um meinen Sohn - und vermutlich auch mich selbst - zu beruhigen, erkläre ich ihm, dass das passieren kann, wenn sich etwas verklemmt hat. Er gibt sich damit zufrieden. Ich auch - vorerst. Dem gemütlichen Nachmittag mit meiner Freundin steht nichts mehr im Weg.

 

Mulmig zumute wird mir erst abends wieder. Im Badezimmer, mit dem Gesicht über das Waschbecken gebeugt, fühle ich mich plötzlich beobachtet. Beinahe wage ich es nicht, mich aufzurichten, aus Angst, ich könnte im Spiegel sehen, dass jemand hinter mir steht Verrückt. Da ist natürlich niemand.

 

Einige Tage später werde ich plötzlich durch ein lautes Geräusch geweckt. Ich meine, einen leichten Luftzug an meinem Gesicht gespürt zu haben und drücke panisch den Schalter meiner Nachttischlampe. Neben mir, auf Kopfhöhe, liegt am Fußboden meine kleine rote Sporttasche. Jene Tasche, die seit Monaten oben auf dem Kasten liegt, mittig platziert, ohne jegliche Chance, runterfallen zu können. Doch nun liegt sie am Boden. Irritiert und mit bangem Gefühl drehe ich das Licht ab und verstecke mich - mit 35 Jahren - unter der Decke. Ich habe Angst. Doch das gruseligste Erlebnis sollte noch kommen.

 

In der selben Woche werde ich nachts wieder wach. Mein Sohn schläft seelenruhig in seinem Zimmer. Zumindest denke ich das. Bis ich an meinem linken Schienbein eine Hand spüre.

 

Es ist stockdunkel und es fühlt sich an, als würde die Hand meinen Fuß abtasten. Mein Gott, wieso dreht er nicht das Licht auf? Manchmal kommt Junior zu mir rüber wenn er nicht schlafen kann. Dann tastet er im Dunkeln das Bett ab, um meine Beine zu finden, damit er mich beim Reinkriechen nicht weckt oder mir womöglich wehtut.

 

Irgendwie habe ich das Gefühl, er ist im Stehen eingeschlafen, seine Hand noch immer auf meinem Schienbein. Ich drehe das Licht auf. Doch da ist niemand. Die Tür ist zu, die Hand auf meinem Bein weg. Und ich bin alleine in meinem Schlafzimmer...oder?