Kindermund

 

Im Laufe der letzten Jahre gab es viele tolle Aussagen meines wunderbaren Sohnes, die mir heute wie damals ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern.

Als er klein war liebte er Gute-Nacht-Geschichten. An diesem einen Abend blickte er mich nach dem Lesen müde an. „Mama, ich glaube, mit meinen Augen stimmt etwas nicht. Die fallen immer zu.“ Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er sich mit beiden Händen die Augen rieb. Einige Jahre lang hat er die Sinnhaftigkeit des Schlafens in Frage gestellt. Auch versuchte er fortan nachts wachzubleiben, um den Schlafvorgang besser verstehen zu können. Es gelang ihm nicht. Die Augen fielen jeden Abend zu. Geschlafen hat er dann gut und vor allem lange. Frühaufsteher ist er bis heute keiner. An einem Tag, kurz vorm Losfahren in die Schule, sah er mich fragend an. „Mama, gehst du heute auf eine Hochzeit?“ Auf meine Warum-Frage antwortete mein 6-jähriger: „Na, weil du heute so hübsch bist!“ Ich trug lediglich mein übliches Büro-Outfit und freute mich umso mehr über seine lieben Worte. Ja, Komplimente verteilen konnte er. Doch auch wenn ihm etwas nicht gefiel, fand er meist die passenden Worte - wie an jenem Morgen, er war acht. Ich stellte das Frühstück mit den Worten „mit Liebe gemacht“ auf den Tisch. Zahlreiche Leckereien auf dem Teller warteten darauf, von uns vernascht zu werden. Er biss in die Karotte und verzog den Mund: „Mama, in den Karotten hast du die Liebe vergessen, die schmecken nicht.“

In diesem Alter stellte mein Sohnemann außerdem fest, dass ich tatsächlich seine Mama sein MUSSTE: „Mama, ich glaube, ich stamme wirklich von dir ab - ich rede auch so viel wie du.“  Nun ja, was soll ich sagen: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Bezaubernd fand ich seine hervorragenden Vergleiche „Wir sind wie…“, die er manchmal anstellte. Als wir gemeinsam auf einer Rodel den Berg hinunter düsten, er vorne, ich hinten, schrie er lachend: „Mama! Ich bin der Weihnachtsmann und du der Geschenkesack!“ Oder jenes Weihnachten, an dem er zum ersten Mal die Existenz vom Christkind in Frage stellte: er war gerade im Badezimmer, als das Glöckchen zur Bescherung läutete. Ganz aufgeregt lief er ins Wohnzimmer zum Baum. Beim Öffnen des größten Geschenks sah er mich an und meinte mit fester Überzeugung: "Mama, das Christkind MUSS es geben! Denn du kannst dir dieses Lego-Raumschiff ja gar nicht leisten!" Gottseidank, sag ich da nur.

Mit 10 hatte er seine erste Freundin und obgleich sie von vielen Seiten belächelt wurden, sollten sie für vier Jahre ein Pärchen sein. Eines Abends seufzte er, während wir uns Gute Nacht sagten. "Hach Mama, ich bin erschöpft." Verwundert fragte ich ihn, wovon er denn erschöpft sei. "Von der Liebe..." antwortete er. Ich weiß noch, dass ich ihn damals beinahe darum beneidete.

Der Kindermund - ehrlich, herzlich, treffend! Man sollte solche Aussagen aufschreiben, um sich später daran erinnern zu können - oder vielleicht sogar, um andere Menschen daran teilhaben zu lassen.